Unternehmeredition: Der „perfekte Sturm“ wütet im Automotive-Sektor

Seit Monaten kämpft die Automobilindustrie mit den Nachwehen der Corona-Krise.

Kaum war in Deutschland die Diesel-Krise überstanden, da lähmte die weltweite Pandemie die Absatzmärkte. Und nun, da die Konjunktur wieder anspringt, da fehlen wichtige Komponenten zum Bau der begehrten Fahrzeuge. Bei einigen Modellen beträgt die Lieferzeit schon mehr als anderthalb Jahre. Falkensteg-Partner Jochen Wierz sprach mit Alexander Görbing (Unternehmeredition) über die Zukunft der Branche. So viel sei schon jetzt verraten: Kurzfristig ist keine Entspannung der Lage in Sicht. Den kompletten Artikel lesen Sie hier.

Bis zu elf Millionen Fahrzeuge sollen in diesem Jahr weltweit weniger gebaut werden, wie noch im Januar prognostiziert. Die Konzerne hatten als hilfreiche Lösung für diese Minder-Auslastung das Instrument der Kurzarbeit. Die Bundesregierung hatte nach dem Beginn der Pandemie den Zugang durch ein deutliches Absenken der Kriterien wesentlich erleichtert. Während große Konzerne trotz der sogenannten „Chip-Krise“ mit guten Geschäftszahlen glänzen konnten – unter anderem ermöglicht durch die Kurzarbeiter-Regelung – gibt es seit dem Sommer bei vielen Automobilzulieferern große Probleme – bis hin zur Pleite. Innerhalb weniger Wochen verabschiedete sich ein knappes Dutzend Unternehmen in die Insolvenz – teilweise klassische Verfahren – teilweise in Eigenverwaltung.

Für einige Automobilzulieferer in Deutschland hat sich die Chip-Krise zu einem „perfekten ausgewachsenen Sturm“ entwickelt. „Zum Beginn des Sommers 2021 war eigentlich eine deutliche Steigerung von Abrufen und Produktion zu erwarten. Die Chipkrise war damals nur ein Gerücht und viele Zulieferer haben ihrerseits Vorbestellungen und Produktion hochgefahren. Dann gab es im Spätsommer plötzlich eine dramatische Lageveränderung“, erklärt Jochen Wierz, Partner bei Falkensteg. Eigene hohe Bestellungen, gesteigerte Produktion mit entsprechenden Kosten, volle Lager und dann aber fehlende Abrufe durch die Autokonzerne: Die Folge sind gebundenes Kapital und fehlende Einnahmen – ein Horrorszenario für die Liquiditätslage. Die Planbarkeit für die Zulieferer habe in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen und die Profitabilität leide in vielen Fällen. Auf diese Weise würden strukturelle Schwächen immer stärker erkennbar.

Die Schwierigkeiten in der Branche dürften allerdings nicht abnehmen. Aber warum ist das so? „Die Herstellung eines modernen Fahrzeugs ist inzwischen ein sehr komplexer Vorgang. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden in diesem Sektor eine einzigartige Lieferkette geschaffen, in der viele Zahnräder ineinandergreifen müssen“, sagt Wierz. Das sieht Markus Mühlenbruch, Partner bei Ebner Stolz, ähnlich, denn die Quote der Zulieferer an der Produktion liege jenseits der 70 Prozent. Die aktuellen Schwierigkeiten in den weltweiten Lieferketten würden schon außergewöhnliche Blüten treiben, indem beispielsweise dringend benötigtes Kupfer per Luftfracht aus China herbeigeschafft wird. Die Probleme der Zulieferer beschränken sich nach Einschätzung der beiden Experten nicht auf Deutschland, sondern seien in der ganzen Welt zu beobachten. Allerdings habe es einen zeitlichen Versatz gegeben, denn beispielweise traten große Probleme in den USA im Sommer des Jahres auf – hier läuft die Produktion mittlerweile aber wieder, gleiches gilt für China, nachdem dort im Besonderen die Beschränkungen für die Stromerzeugung weitgehend entfallen sind.

Da es eine eng verzahnte Lieferkette gibt, wäre zu erwarten, dass Konzerne ihren in Not geratenen Zulieferern helfen. Das sei in einigen Fällen nach Beobachtung der beiden Experten auch schon passiert. Zahlungsziele würden angepasst, mehr Produkte abgenommen als eigentlich benötigt und die Verhandlungen lösungsorientiert geführt. Dies sei insbesondere bei ultrakritischen Teilen der Fall.

Insgesamt ist nach Ansicht von Mühlenbruch und Wierz aber erkennbar, dass aktuell in Deutschland vor allem die Automobilzulieferer betroffen sind, die im Wesentlichen den deutschen Markt im Fokus haben. Internationaler aufgestellte Unternehmen würden aktuell deutlich besser dastehen. „Einfaches Produkt – einfacher Markt – nur ein Abnehmer – dann haben Sie unter Umständen ein ernstes Problem“, bringt es Wierz auf den Punkt. Und in einem solchen Fall könne dann auch die Kurzarbeit nicht mehr helfen.

Entwarnung geben die beiden Experten nicht: Sie rechnen mit einem Anhalten der Probleme mit der Lieferbarkeit von Chips und elektronischen Bauteilen bis zum zweiten Quartal 2022. Für weitere Unternehmen aus der Branche dürfte die Luft damit dünner werden. „Man braucht als Unternehmen eine höhere Resilienz“, rät Wierz. Das ist unter Umständen aber leichter gesagt als getan.

Socials