Textilwirtschaft: Die Corona-Hilfen sind ein süßes Gift

Die Zahl der Großinsolvenzen in der Mode- und Textilindustrie ist trotz Lockdown im Frühjahr und Umsatzeinbußen im Weihnachtsgeschäft deutlich gesunken.

Ein Minus von 82 Prozent gegenüber 2020. Falkensteg-Partner und Fashion-Experte Sebastian Wilde spricht im Interview mit Bert Rösch von der Textilwirtschaft über die Aussichten für 2022 und gibt den Unternehmen Tipps, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen, um im weiterhin schwierigen Marktumfeld eine Zahlungsunfähigkeit verhindern zu können. Das komplette Interview lesen Sie in der Textilwirtschaft.de [€]

TextilWirtschaft: Herr Wilde, den vorläufigen Zahlen Ihrer Unternehmensberatung zufolge ist die Zahl der Insolvenzen im Modesektor im Jahr 2021 drastisch zurückgegangen. Kommt das böse Ende in diesem Jahr?
Sebastian Wilde: Die Zahlen für 2021 spiegeln eigentlich nicht das reale Wirtschaftsleben wider. 2020 hatten wir Rekordzahlen, die durch Lockdown, Corona-Effekte und langjährige wirtschaftliche Schieflagen getrieben waren. Im vergangenen Jahr zeigten die vielen staatlichen Hilfen ihre positive Wirkung.

In 2022 werden sich die Unternehmen massiv mit Finanzierung und Refinanzierung auseinandersetzen müssen.

Welche Tipps können Sie den Unternehmern geben, die sich gegen die Eventualität einer Insolvenz absichern wollen?
Die Corona**–**Hilfen sind ein süßes Gift. Die Unternehmen wissen häufig nicht, ob sie weiterhin wettbewerbsfähig sind, oder ob sie verkaufsfähige Kollektionen haben. Das heißt: Unter der Maßgabe, dass man die Lage gar nicht richtig abschätzen kann, steht die Liquiditätssicherung für die nahe Zukunft ganz oben auf der Liste. Ein Beispiel: Bei vielen KfW-Krediten wurde eine Tilgungsaussetzung von einem Jahr vereinbart. Somit startet 2022 die Rückzahlung. Die Kreditkosten müssen aber aus den laufenden Einnahmen generiert werden. Deshalb müssen die Firmen jetzt ihre Liquidität sichern oder neue Finanzierungen finden. Die Banken sind jedoch bei der Kreditvergabe sehr restriktiv.

Eine erhebliche Herausforderung besteht zudem in der benötigten Liquidität für die Vorfinanzierung zukünftiger Kollektionen. Viele Händler bestellen nun die Ware für das nächste Wintergeschäft, damit sie es im August auf die Fläche bringen können. Und für diese Vorfinanzierung braucht man einen Liquiditätspuffer, den die Unternehmer durch das Weihnachtsgeschäft erarbeitet haben sollten. Fehlt dieser Puffer, kann es noch zu einem massiven Liquiditätsproblem für diese Unternehmen kommen.

Was sollten die Händler jetzt tun?
Erstens müssen die Händler Ideen entwickeln, wie die Kunden ab Frühjahr wieder auf die Fläche kommen. Dazu sind vernünftige Konzepte und Werbestrategien gefordert. Zweitens müssen die Unternehmen beginnen, das nächste Jahr in Szenarien abzubilden. Die Pandemie hat gezeigt, wie volatil insbesondere der stationäre Modehandel inzwischen sein kann. Mit diesen Szenarioberechnungen können die Unternehmen simulieren, was in welcher Situation – zum Beispiel weiterer Lockdown, andauernde Lieferengpässe, niedriger Kundenfrequenz auf der Fläche – passiert, um jetzt schon die passenden Maßnahmen erarbeiten zu können. Wer erst anfängt, wenn es schärfere Coronavorschriften gibt oder sich die Ware in den Lagern stapelt, für diese Unternehmen ist es dann zu spät. So schnell kann keiner reagieren. Das haben wir im vergangenen Jahr gelernt.

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