TextilWirtschaft: Rettungsanker Pleite: Drei Viertel der Textilunternehmen erhalten zweite Chance
38 Textilunternehmen und Zulieferer mit einem Umsatz von mehr als 10 Mio. Euro mussten im Pandemiejahr 2020 einen Insolvenzantrag stellen.
In diesem Jahr sind davon bereits 27 Firmen gerettet. So das Ergebnis einer Analyse der Unternehmensberatung Falkensteg über die Verfahrensausgänge von Insolvenzen, die in der TextilWirtschaft erschienen ist. Die Rettungsquote von rund 72 Prozent kann sich noch erhöhen, da vier Insolvenzverfahren aus dem Vorjahr weiterhin offen sind. „Damit liegt der Fashionbereich deutlich über dem deutschen Branchendurchschnitt von 56 Prozent“, erklärt Studienautor und Falkensteg-Partner Johannes von Neumann-Cosel.
Die Pleiten in der Textilbranche hatten sich während des ersten Coronajahres von 14 auf 38 Anträge fast verdreifacht. Traditionell erhalten jedoch viele Fashion-Unternehmen eine zweite Chance. Das änderte sich auch in der Pandemie nicht: 14 Unternehmen wurden verkauft und 13 Textiler sanierten sich über einen Insolvenzplan.
Insolvenzpläne nehmen zu
Die Unternehmensfortführung über einen Plan ist in dieser Branche mit einem Anteil von 34 Prozent ungewöhnlich hoch. Normalerweise liegt der Durchschnitt für eine Planlösung bei 17 Prozent.
Mit dem Insolvenzplan soll das Aus eines Unternehmens verhindert werden. Er zeigt die Maßnahmen und finanziellen Zugeständnissen für eine Rettung. Ein Sanierungsbaustein ist beispielsweise die Anpassung von Dauerschuldverhältnissen. „Meist arbeiten 20 – 40 Prozent der Filialen unrentable. Deren Mietverträge lassen sich einfacher kündigen. Dagegen müssen die Mietverträge für Stores in Toplagen nicht neu verhandelt werden. Das Risiko einer kräftigen Mieterhöhung entfällt“, weiß Textilexperte und Falkensteg-Partner Sebastian Wilde.
Ein weiterer Beitrag liegt im Verzicht der Gläubiger auf einen Großteil ihrer Forderungen. Bei der größten Pleite im Jahr 2020, der Galeria Karstadt Kaufhof, stimmten die Gläubiger zu, rund zwei Milliarden Euro aufzugeben. „Die Insolvenz hat sich inzwischen zu einem hervorragenden Sanierungsinstrument entwickelt. Die hohe Anzahl an Planverfahren lässt darauf schließen, dass die Geldgeber und Gläubiger an das Geschäftsmodell der Textilunternehmen glauben“, so Sanierungsexperte Wilde. Im vergangenen Jahr wurden das Modelabel Esprit und die Modehandelskette Sinn ebenfalls über einen Insolvenzplan saniert.
Verfahrensabschlüsse werden schneller
Egal, ob ein Unternehmensverkauf oder Insolvenzplan, bei beiden Sanierungswegen konnte die Verfahrensdauer erheblich verringert werden. „Trotz der Corona bedingten Schwierigkeiten ging ein insolventes Textilunternehmen nach 165 Tagen an einen neuen Eigentümer. Der Insolvenzplan benötigt rund eineinhalb Monate mehr“, so Wilde. In den Jahren zuvor war die Zeit zwischen Antragstellung und Verfahrensende deutlich länger. Der Verkauf dauerte damals 209 Tage und die Planlösung 223 Tage.
Weniger Insolvenzen
Der Bund hat seit Beginn der Pandemie im Februar 2020 über 153,1 Mrd. Euro für Kurzarbeitergeld, KfW-Kredite und Überbrückungshilfen an Unternehmen ausgeschüttet. Das Ergebnis zeigt sich nun in den Insolvenzzahlen im ersten Halbjahr 2021. Gerade einmal sechs Textilfirmen und Zulieferer mussten einen Antrag stellen. Im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt bereits 30 Unternehmen – ein Rückgang von 80 Prozent. Über alle Branchen hinweg sanken die Insolvenzanträge bei Großunternehmen von 174 (1. Halbjahr 2020) auf 72 – einem Minus von 59 Prozent, so die Analyse von Falkensteg.
Für Sebastian Wilde dürfte die Talsohle erreicht sein: „Wenn die Hilfen auslaufen und die Rückzahlungen der Kredite anstehen, werden viele Unternehmen die finanzielle Belastung nicht mehr leisten können. Zudem ist noch völlig offen, wie die Unternehmen durch den Winter kommen.“ Zwar schließen die Koalitionsparteien einen weiteren Lockdown auch nach der Bundestagswahl aus, doch sei die offene Frage, wie das Shopping-Erlebnis bei höheren Coronazahlen beschränkt werde.
Zudem steht der Textileinzelhandel vor der Herausforderung, die früheren treuen Flächenkunden wieder für den Einkauf im Laden zurückzugewinnen. „Der erste Shopping-Boom ist vorbei, der Sommer neigt sich dem Ende und das Wetter wird schlechter. Wenn die Kunden das in der Pandemie erlernte Online-Shopping einfach weiterführen, wird es für den Einzelhandel sehr eng. Die Unternehmen sollten sich deshalb frühzeitig mit tiefgreifenden Sanierungsoptionen auseinandersetzen“, rät Falkensteg-Partner Sebastian Wilde.