Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose liegt wieder bei zwölf Monaten

Die Zahl der Unternehmen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden oder gar Insolvenz anmelden müssen, nimmt seit Monaten zu (Sehen Sie hierzu auch den [FalkenSteg Insolvenzreport 5-Nach-12](https://falkensteg.com/5-nach-12-finance-insolvenzreport-grossinsolvenzen-folgen-negativtrend-der-gesamtwirtschaft/)). Diverse Konjunkturindikatoren deuten darauf hin, dass diese Entwicklung vorerst weitergehen wird.

Gerät ein Unternehmen in die Krise, sollten sich Geschäftsführer und Vorstände mit den Ursachen und den rechtlichen Konsequenzen auseinandersetzen. Spätestens seit Einführung des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) zum 1. Januar 2021 unterliegen Geschäftsführer und Vorstände konkreten gesetzlichen Sorgfaltspflichten zur Krisenfrüherkennung. Ferner läuft zum 31. Dezember 2023 die Sanierungserleichterung eines verkürzten Prognosezeitraums für die Fortführungsprognose wegen entstandener Nachfragelücken und hoher Preisvolatilitäten auf den Energie- und Beschaffungsmärkten aus. Dies bedeutet in der Praxis, dass bereits ab dem 1. September 2023 wieder der reguläre Prognosezeitraum von zwölf Monaten für die Fortführungsprognose bei Überprüfung einer Insolvenzreife durch Überschuldung gilt. Was müssen Geschäftsführungsorgane nun beachten?

Neben einer akuten Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) gibt es einen zweiten verpflichtenden Insolvenzantragsgrund für Kapitalgesellschaften oder diesen gleichgestellten Gesellschaften. Das ist die Überschuldung (§ 19 InsO). Ob aufgrund von Überschuldung – als Indiz für eine Überschuldung gilt eine bilanzielle Überschuldung (Verbindlichkeiten>Vermögenswerte) – ein Insolvenzantrag gestellt werden muss, wird zweistufig geprüft. Beide Prüfungen sind gleichwertig:

  1. Bewertung der Vermögens- und Verbindlichkeitenwerte

Eine insolvenzrechtliche Überschuldung besteht, wenn beim Aktiv- und Passivvermögen Liquidationswerte angesetzt werden und danach ein negatives Reinvermögen verbleibt. Zu beachten ist, dass auch Verwertungs- und Schließungskosten als Verbindlichkeiten berücksichtigt werden müssen.

  1. Fortführungsprognose

Sofern ein negatives Reinvermögen bei der Beurteilung der Vermögens- und Verbindlichkeitenwerte vorliegt, muss eine Fortführungsprognose erstellt werden. Eine positive Fortführungsprognose setzt die überwiegende Wahrscheinlichkeit voraus, dass das Unternehmen für die kommenden zwölf Monate zahlungsfähig bleibt. Konkret bedeutet dies, dass das Unternehmen im Betrachtungshorizont jederzeit in der Lage sein muss, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen.

Sofern bei negativem Reinvermögen eine positive Fortführungsprognose besteht, muss kein Insolvenzantrag aufgrund von Überschuldung gestellt werden.

Hinsichtlich der Prüfungsreihenfolge gibt es keine rechtlich verbindlichen Vorgaben, jedoch hat sich die Fortführungsprognose als erste Stufe durchgesetzt. Bedingt durch die Gleichwertigkeit der Prüfelemente wäre bei Bejahung einer positiven Fortführungsprognose eine Bewertung zu Liquidationswerten obsolet.

Seit dem 9. November 2022 hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG den Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose von zwölf auf vier Monate verkürzt. Ziel der temporären Reduzierung des Prognosezeitraums war die Vermeidung von Insolvenzanträgen bei grundsätzlich wettbewerbsfähigen Unternehmen. Unternehmen, die insbesondere durch hohe Preisvolatilitäten an den Material- und Energiemärkten kurzfristig nicht länger als drei bis vier Monate planen konnten oder Zeit benötigten, um ihrerseits Preiserhöhungen bei ihren Kunden durchzusetzen, sollten vor einem Insolvenzantrag geschützt werden.

Die verkürzte Frist gilt allerdings nur noch bis Ende dieses Jahres. Unternehmen, die eine Fortführungsprognose erstellen müssen, die über den 31. Dezember 2023 hinausgeht, müssen daher seit Anfang September 2023 wieder den Zeitraum von zwölf Monaten betrachten. Die Unternehmen sehen sich auch nach der Corona-Pandemie und durch den anhaltenden Krieg in der Ukraine weiterhin hohen Unsicherheiten ausgesetzt. Zu den aktuellen multiplen makroökonomischen Herausforderungen zählen die Inflation, der Fachkräftemangel, geopolitische Risiken, fragile Lieferketten etc. All dies macht es für die Unternehmen schwer, eine verlässliche Prognose ihrer Liquiditätssituation über einen Zeitraum von zwölf Monaten abzugeben. Gleichzeitig stehen bei vielen Unternehmen in den kommenden Monaten Refinanzierungen an.

Geschäftsführer und Vorstände von kriselnden Unternehmen müssen mit dieser herausfordernden Situation umgehen. Dabei sind sie substanziellen Haftungsrisiken ausgesetzt. Die verspätete Insolvenzantragstellung wird sowohl zivil- als auch strafrechtlich sanktioniert. Grundsätzlich muss ein Insolvenzantrag nach Erreichung der Insolvenzreife unverzüglich gestellt werden. Die maximalen Antragsfristen betragen bei Zahlungsunfähigkeit drei Wochen und bei Überschuldung sechs Wochen. Die Höchstfrist darf nur in Anspruch genommen werden, wenn es eine berechtigte Hoffnung gibt, den Insolvenzgrund in diesem Zeitraum nachhaltig zu beseitigen. Geschäftsführer und Vorstände haften bei einer verspäteten Insolvenzantragsstellung persönlich mit ihrem Privatvermögen. Die erheblichen Haftungsansprüche aus einer (deutlich) verspäteten Insolvenzantragstellung können existenzvernichtend sein.

Wie können Geschäftsführer und Vorstände mit der aktuellen Situation bestmöglich umgehen?

  • Die Implementierung eines Risiko-Management-Systems mit besonderem Fokus auf die Liquidität:

Ein adäquates Risiko-Management-System ist seit 2021 durch § 1 StaRUG gesetzlich vorgeschrieben. Nach unserer Erfahrung wird ein solches System in vielen Unternehmen nur unzureichend umgesetzt. Die Geschäftsleiter sind jedoch verpflichtet, bestandsgefährdende Entwicklungen zu überwachen. Bestandsgefährdende Entwicklungen sind allgemein sämtliche Entwicklungen, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft auswirken und vor allem die Gefahr einer Insolvenz mit sich bringen können.

Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Liquidität und deren laufende Planung zu legen. Vielfach werden Unternehmen im Wesentlichen anhand von Profitabilitätskriterien (Rohergebnis, EBITDA, EBIT etc.) gesteuert, die eine Krise erst spät erkennen lassen. Wir empfehlen daher eine rollierende Liquiditätsplanung für 13 Wochen auf Wochenbasis und darüber hinaus bis zu 24 Monaten auf Monatsbasis als Teil des Reportings zu implementieren. Die längerfristige Planung sollte aus der Unternehmensplanung abgeleitet werden. Idealerweise berücksichtigt die Planung unterschiedliche Szenarien mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten. Wichtig ist auch, dass die Finanzierungsquellen und vorgesehene Neu- und Refinanzierungen in die Liquiditätsplanung einfließen.

  • Die frühzeitige Vorbereitung von anstehenden Finanzierungen:

In den vergangenen Jahren ist branchenübergreifend der Verschuldungsgrad von Unternehmen erheblich angestiegen (Vergleiche hierzu die Roland Berger Studie „Wie Unternehmen ihr Finanzierungsdilemma lösen können“). Steigende Kosten für Material, Energie und Personal führen zu einem sinkenden EBITDA und zu einer geringeren Schuldentragfähigkeit; der Leverage (Nettoverschuldung / EBITDA) hat sich vielfach dramatisch erhöht. In den kommenden Monaten und Jahren werden Unternehmen vor Refinanzierungen stehen, die bedingt durch die Zinswende signifikant teurer werden und somit die Schuldentragfähigkeit weiter belasten. Hinzu kommt, dass Banken bei Neu- und Refinanzierungen restriktiver vorgehen und Covenants strenger auslegen. Deshalb sollten vor einer anstehenden Finanzierung frühzeitig leistungswirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, um zunächst eine Verbesserung des EBITDA zu erreichen. Auch sollten die einzelnen Geschäftsbereiche hinsichtlich ihres Wertbeitrags überprüft werden, um bedarfsweise Anpassungen vorzunehmen. Dazu kann auch der Verkauf defizitärer Geschäftsbereiche gehören. Weiterhin lässt sich eine Zinsoptimierung zunehmend durch ESG-Initiativen (Environmental, Social and Corporate Governance) erzielen.

  • Die Schaffung von kurzfristiger Liquidität:

Zur kurzfristigen Liquiditätsbeschaffung außerhalb einer Bankenfinanzierung kann eventuell auch ein Asset-Based-Financing in Form von z. B. Sale and Lease Back, Factoring oder ähnlichem sinnvoll sein. Viele Unternehmen nutzen diese Maßnahmen oft nur, um die Liquiditätslücke zu schließen. Besser wäre es, die Ursachen für die schlechte Liquiditätssituation zu identifizieren, um leistungswirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten.

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