Unternehmeredition: Krisen schleichen sich langsam an − die Bedeutung des Working Capitals
Die Nachrichten in den vergangenen Wochen und Monaten werden nicht besser. Die weltweite Coronakrise, der Angriffskrieg in der Ukraine, die explodierenden Energiekosten und Lieferkettenabbrüche belasten die Unternehmen gleich mehrfach.
Falkensteg-Partner Tillmann Peeters rät im Gespräch mit Alexander Görbing (unternehmeredition.de), einen Blick auf das Working Capital zu werfen. Den kompletten Artikel lesen Sie hier.
„Die Kunden brauchen dringend Ware und versuchen auf allen möglichen Wegen, an die Produkte zu kommen. Aber die gestörten Lieferketten sowie die immer noch anhaltenden Personalausfälle verhindern die Lieferfähigkeit“, erklärt Peeters. Die Folge seien explodierende Preise und geradezu grotesk lange Lieferzeiten. Die Engpässe in der Logistik und stark steigende Transportkosten gelten jedoch nicht nur für Vorprodukte, sondern auch für die Auslieferung der eigenen Fertigprodukte. „Wenn Unternehmen die Fertigware nicht an die Kunden rausbekommen, dann kann das bei der Liquidität kritisch durchschlagen – bis hin zur Zahlungsunfähigkeit“, so der Sanierungsexperte.
Individuelle Lösungen sind gefordert
Probleme mit Warenlieferungen können sich im Laufe der Zeit zu einer Gefahr für ein Unternehmen ausweiten, wenn die Produktion zusammenbricht oder Kunden ihre Bestellung nicht erhalten. Was also tun? „Man muss einfach wach sein – es ist eine Führungsaufgabe –, man muss dranbleiben“, sagt Peeters. Und er hat eine schlechte Nachricht für Unternehmer und Führungskräfte: „Es gibt leider kein Patentrezept oder eine einfache Softwarelösung, die schnell für Abhilfe sorgt.“ Vielmehr seien die Fälle von Unternehmen zu Unternehmen – und vielleicht auch innerhalb des Betriebs – zu individuell, um mit Schablonen zu arbeiten.
Liquidität im Auge behalten
Auf die wachsende Unsicherheit in der aktuellen Situation reagieren Geschäftspartner mit erhöhter Vorsicht: Lieferanten wollen früher ihr Geld erhalten und Kunden wollen später bezahlen – dabei jedoch die Ware möglichst schnell erhalten. Für ein Unternehmen kann hier eine gefährliche Schere aufgehen. „Wenn das Lager mit Vorprodukten randvoll ist, aber die Auslieferung der fertigen Waren an die Kunden nicht funktioniert, dann kann der Firma schnell das Geld ausgehen“, so Peeters. Er empfiehlt den ständigen Blick auf das Working Capital.
Um die Flexibilität und die Liquidität der Firma zu sichern, müsse ein zu hoher Wert des Working Capital vermieden werden, denn „dies ist gleichbedeutend mit einem randvollen Vorproduktelager und zugleich hohen offenen Rechnungen gegenüber den Kunden“, erklärt Peeters. Das sei ungesund und mache die Firma unbeweglich. Aus diesem Grunde empfiehlt er eine regelmäßige, offene Kommunikation mit Lieferanten und Kunden. Im ureigensten Sinne des Unternehmens müsse hier eine intensive Abstimmung erfolgen – und: „Man muss einfach dranbleiben.“ Beide Enden der Lieferkette müssten sorgfältig beobachtet werden, um Probleme zu vermeiden. Hier könne auch eine Steuerung des Unternehmens mit bestimmten Kennzahlen aus den Bereichen Einkauf, Lagerhaltung, Produktion, Lieferfähigkeit und Vertrieb erfolgen. „Wie in vielen anderen Aufgabenfeldern der Unternehmensführung geht es darum, Ziele zu setzen und diese dann auch regelmäßig zu kontrollieren“, sagt Peeters.
Produktion muss weiterlaufen
Als oberstes Ziel definiert Peeters, dass die Produktion nicht abgewürgt wird. Denn ohne Produktion keine Wertschöpfung – und damit keine Liquidität und kein Gewinn. Diesem obersten Ziel müssen sich nach seiner Ansicht die Maßnahmen unterordnen. Wenn also Ware nicht ausgeliefert werden kann, weil ein Container noch nicht voll oder nicht verfügbar ist, dann lohne sich ein Anruf beim Kunden, um eine kurzfristige Lösung zu erreichen. Eventuell kann der Kunde die Ware selbst abholen oder akzeptiert höhere Lieferkosten eines anderen Versandwegs. Ferner sei es für ein Unternehmen angesichts der Probleme mit der Logistik geradezu überlebenswichtig, dass die Vorprodukte ausreichend vorhanden sind. „Wir erleben inzwischen vermehrt Fälle mit einem ‚Pappa-ante-Portas-Effekt‘, bei dem Lager bis unter das Dach vollgemacht werden“, sagt Peeters. Das könne auch eine Lösung sein, aber nicht in jedem Fall.
Als eine mögliche Maßnahme schlägt Peeters eine interne Task-Force vor, die sich in kurzen Abständen mit der Lieferfähigkeit des Betriebs auseinandersetzt. Auf diese Weise würden Know-how-Träger aus verschiedenen Bereichen der Firma an einen Tisch gebracht, um auch unkonventionelle Lösungen zu finden. „Es lohnt sich in solchen angespannten Situationen stets, auch auf die Intelligenz und den Erfindungsreichtum der Mitarbeiter zu vertrauen“, fügt Peeters an. In jedem Fall sei es wichtig, das Team mitzunehmen und dabei offen zu kommunizieren. Gemeinsam können dann Wege gefunden werden, um an entscheidenden Stellen einen Hebel umzulegen.