Insolvenzantragspflicht: Temporäre Änderung bei Überschuldung
Befristete Erleichterungen im Insolvenzrecht sollen Unternehmen mehr Zeit verschaffen, um auf die derzeitigen Krisen zu reagieren. Im Wesentlichen geht es um Insolvenzanträge, die wegen Überschuldung gestellt werden müssen. Hier wurde der Prognosezeitraum um acht Monate verkürzt und die Frist zur Antragsstellung um zwei Wochen verlängert. Das neue „Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz“ (SanInsKG) ist am 9. November 2022 in Kraft getreten.
Das neue Gesetz soll vor allem in ihrem Kern gesunde Unternehmen helfen, die wegen der aktuellen explodierenden Energie- und Rohstoffpreise nicht mehr sicher planen können. Deshalb wurde der Planungszeitraum für die Überschuldungsprüfung verkürzt. Bisher musste ein Unternehmen einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und keine positive Fortführungsprognose vorliegt. Für diese Fortführungsprognose wurde bisher in einem Zeitraum von zwölf Monaten geprüft, ob das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten fristgerecht zu bedienen. Jetzt muss die Fortführungsprognose nur noch für vier Monate erstellt werden. „Derzeit ist eine Prognose mit realistischen Prämissen über ein Jahr kaum haltbar. Somit ist der Viermonatszeitraum der richtige Schritt. Wichtiger ist aber, dass die Unternehmen überhaupt eine Planung aufstellen und darin die Entwicklung der Ein- und Ausgabenseite darstellen“, sagt Sebastian Wilde, Partner der Restrukturierungsberatung Falkensteg.
Weiterhin sieht die neue Regelung vor, dass der Insolvenzantrag innerhalb von acht anstatt wie bisher sechs Wochen beim Amtsgericht gestellt werden muss. Mit dem Gesetz sinkt zudem die Gefahr der persönlichen Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung. „Durch eine belastbare Planung und eine kürzere Prognosefrist wird das Risiko entschärft, dass im Nachhinein aus einer ambitionierten Planung, die sich teilweise auf unsichere Annahmen stützen muss, eine haftungsträchtige Insolvenzverschleppung wird“, erklärt Sanierungsexperte Wilde. Zu beachten ist jedoch, dass dies Antragsfrist nur in Anspruch genommen werden darf, sofern eine berechtigte Annahme zur Beseitigung der Überschuldung oder Herstellung einer positiven Fortführungsprognose in diesem Zeitraum möglich erscheint. Sollte die Beseitigung des Antragsgrundes nicht realistisch erreichbar sein, so muss weiterhin unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden.
Überdies profitieren auch Unternehmen vom neuen Gesetz, wenn sie ein Restrukturierungs-(StaRUG) oder Eigenverwaltungsverfahren zur Sanierung anstreben. Voraussetzung in beiden Verfahren ist eine Planerstellung, die die Durchfinanzierung des Unternehmens innerhalb der nächsten sechs Monate aufzeigt. Dieser Zeitraum wurde auf vier Monate reduziert.
Die Veränderungen im Insolvenzrecht sind Teil des von der Bundesregierung beschlossenen dritten Entlastungspakets und gelten bis Ende 2023. Ist ein Unternehmen dagegen Zahlungsunfähigkeit, der bislang häufigste Grund für eine Unternehmensinsolvenz, besteht die Antragspflicht unverändert weiter. Die Zahlungsunfähigkeit besteht, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, 90 Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten zu begleichen. Sofern eine solche Liquiditätsunterdeckung an einem Stichtag entstanden ist, muss zwingend eine Liquiditätsplanung erstellt werden, aus welcher ersichtlich wird, dass diese Unterdeckung innerhalb der nächsten drei Wochen nachhaltig beseitigt werden kann. Dann liegt keine Zahlungsunfähigkeit, sondern nur eine Zahlungsstockung vor.
Im Gesetzgebungsverfahren wurde von Verbänden gefordert, dass die Lockerungen im Insolvenzrecht deutlich weitergehen müssen, um eine Insolvenzwelle zu verhindern. „Um jeden Preis die Insolvenz zu vermeiden, schadet letztendlich den Unternehmen und der gesamten Volkswirtschaft“, gibt Sebastian Wilde zu bedenken. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie zeige, dass viele Unternehmen die staatlichen Maßnahmen vor allem zur Verlustfinanzierung anstatt zu Zukunftsgestaltung genutzt haben. Dabei kann ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell nicht mehr marktfähig ist, innerhalb eines Insolvenzverfahrens wieder zukunftsfähig aufgestellt werden. „Die Insolvenz bedeutet nicht das Ende für ein Unternehmen. So kann im Insolvenzverfahren der Fokus auf rentable Bereiche gelegt und solche bei Bedarf ausgegliedert werden. Oder das Unternehmen kann als Ganzes komplett neu aufgestellt werden und das ohne den Bremsklotz der Altlasten“, weiß Falkensteg-Partner Sebastian Wilde.