ESG: Fluch oder Segen für die Immobilienwirtschaft?
Gewinn, Rendite, Wachstum – lange Zeit richtete die Immobilienwirtschaft ihr Handeln nahezu ausschließlich an ökonomischen Kriterien aus.
Ebenso, wie es in nahezu allen Wirtschaftsbereichen viele Jahre üblich gewesen war. Die Güte eines Investments bemaß sich vor allem am Ertrag. So einfach ist es heute nicht mehr. Neben ökonomischen Faktoren gewinnen zunehmend auch ökologische sowie sozio-kulturelle Kriterien an Bedeutung. Als Treiber wirkt dabei insbesondere der Klimawandel. Hitzewellen, Naturkatastrophen sowie ein steigender Meeresspiegel erzwingen ein Umdenken auf allen Ebenen der Gesellschaft. Auch in der Immobilienwirtschaft. ESG ist das große Thema. Falkensteg-Partner Christian Alpers und Insolvenzrechtsexperte Rüdiger Bauch (Schultze & Braun) richten im Insolvenzjahrbuch 2022 den Blick auf die Umweltthemen von ESG. Den Artikel in Auszügen lesen weiter unten. Das Insolvenzjahrbuch und den kompletten Artikel finden Sie hier.
Die Bundesregierung hat – im Einklang mit entsprechenden Vereinbarungen auf EU-Ebene – ein ehrgeiziges Ziel formuliert: Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das macht eine schnelle Transformation nahezu aller Lebensbereiche nötig. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Immobilienwirtschaft zu. Denn Gebäude verursachen hierzulande mehr als 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. Spätestens 2050 soll der Bestand nahezu klimaneutral sein. Möglich wird das nur sein, wenn alle Gebäude ihren Energiebedarf deutlich reduzieren und zugleich auf erneuerbare Energien setzen.
Mehr Tempo bei der energetischen Sanierung!
Das wiederum erfordert eine gewaltige Kraftanstrengung. Energieeffiziente Neubauten sind das eine. Zum anderen muss der Immobilienbestand saniert werden. Bewährte Maßnahmen wie gedämmte Fassaden, optimierte Fenster oder auch neue Heizungsanlagen allein werden dabei nicht ausreichen, um die notwendige CO2-Einsparung zu erreichen. Gesucht werden zudem neue technische Lösungen, die effizient und wirtschaftlich sind. Zudem muss das Tempo, mit dem Bestandsgebäude unter Klimagesichtspunkten modernisiert werden, deutlich erhöht werden. Seit langem werden im bundesweiten Durchschnitt alljährlich nur etwa ein Prozent der Häuser und Wohnungen energetisch fit gemacht. Dafür geben die Eigentümer viel Geld aus. Zuletzt waren es mehr als 40 Milliarden Euro pro Jahr. Das zeigt bereits nennenswerte Erfolge: Im Jahr 2020 war der Gebäudesektor für den Ausstoß von 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten verantwortlich. 30 Jahre zuvor waren es noch 210 Millionen Tonnen gewesen.
Mit der fortschreitenden Sanierung reduziert sich der Energieverbrauch der Immobilien. Gleichzeitig wird immer mehr erneuerbare Energie verwendet. Im vergangenen Jahr waren umweltfreundliche Wärmepumpen die wichtigste primäre Energiequelle für Heizungsanlagen. Dennoch bleibt viel zu tun. Denn schon 2030 soll der Gebäudebereich nur noch einen Ausstoß von 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten aufweisen.
Standards gesucht: Wie lässt sich Nachhaltigkeit messen?
Wer die ökologische Nachhaltigkeit (und somit das “E“ für Environmental in ESG) von Immobilien bewerten möchte, kann messbare Daten zu CO2-Emissionen oder Energie- und Ressourcenverbrauch heranziehen. Sie alle basieren auf anerkannten Standards. Schwieriger ist es bei den Kriterien Sozialverträglichkeit („S“ für Social in ESG) und Governance („G“ für Governance in ESG). Für diese beiden Kategorien mangelt es bisher an eindeutigen Standards. Das führt zu der Frage, wie sich beispielsweise die Qualität der Arbeitsbedingungen, Vergütungsfragen oder die Einhaltung von Menschenrechten bewerten und vergleichen lassen. Hierfür Standards zu definieren wäre wichtig, um die ESG-Qualität von Immobilien zu definieren und vergleichbar zu machen. Immerhin gibt es Orientierungshilfen. Zum Beispiel Zertifizierungen von Gebäuden, etwa gemäß den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), oder ESG-Ratings von Nachhaltigkeitsagenturen. Doch das wird nicht ausreichen. Investoren benötigen Zugang zu konsistenten Daten über wesentliche ökologische, soziale und Governance-Faktoren.
ESG-konforme Investitionen treiben die Baukosten
Wenn nicht mehr allein die Rendite über die Vorteilhaftigkeit einer Investition entscheidet, sondern auch andere, nachhaltige Kriterien, bedeutet das dann zwingend einen Verzicht auf Rendite? Das muss keinesfalls sein. Im Gegenteil: Immobilieninvestoren, die ESG-konform handeln, verbessern die Qualität ihres Portfolios und schaffen damit Perspektiven für höhere Mieterträge. Wer dagegen Nachhaltigkeitsaspekte beharrlich ignoriert, muss auf Sicht sowohl mit Umsatz- als auch Gewinneinbußen rechnen und wird bald im Wettbewerb den Anschluss verlieren. Warum ist das so?
Zunächst ein Blick auf die unmittelbaren Kosten. Der Einsatz nachhaltiger Technologien treibt die Baukosten. Neubauten, die etwa auf Geothermie oder Solarenergie setzen, sind teurer zu erstellen als Projekte, die auf energetische Maßnahmen verzichten. Bei Bestandsimmobilien korrelieren die meist ohnehin hohen Umrüstungskosten häufig mit dem Zeitpunkt der Maßnahme. Erfolgt der Austausch etwa einer Heizungsanlage im Rahmen eines ohnehin anstehenden umfangreichen Umbaus, wird es preiswerter als inmitten eines Sanierungszyklus.
Abgefedert werden die Kosten für energieeffizientes Bauen und Sanieren durch öffentliche Förderungen, sei es in Form direkter Zuschüsse oder vergünstigter Kredite, etwa von der staatlichen KfW-Bank. Auch der Kapitalmarkt unterstützt nachhaltige Investments. Wer sich über Green Bonds oder ESG-linked-Loans Finanzmittel verschafft, erhält in vielen Fällen bessere Konditionen. Voraussetzung dafür ist, dass er das Geld ausschließlich für nachhaltige Projekte einsetzt (bei Green Bonds) oder sich zur Einhaltung bestimmter Nachhaltigkeitsziele verpflichtet und dann frei ist in der Verwendung der Mittel (bei ESG-linked-Loans).
ESG-Qualität wird zu einem wertstiftenden Faktor
Bei der Betrachtung des Ertrages ESG-konformer Investitionen ist zwischen ökonomischen und nicht unmittelbar ökonomischen Erträgen zu unterscheiden. Wer bei Investitionen in Immobilien stets darauf achtet, welche Wirkung diese für Umwelt und Menschen haben, stärkt seine Reputation – in der breiten Öffentlichkeit und auch in der eigenen Branche. Das hat keine unmittelbaren Folgen für die Liquidität, schafft aber viele Vorteile im Wettbewerb und immer häufiger auch auf dem Arbeitsmarkt. Ein solcher Investor muss sich zudem nicht vor Sanktionen fürchten, die der Staat zur Erreichung der gesteckten Klimaziele möglicherweise irgendwann ergreifen könnte. Umgekehrt kann die mangelnde Berücksichtigung von ESG-Kriterien folgenschwere, langfristige Konsequenzen für ein Immobilienunternehmen haben.
Das leitet über zu den direkten ökonomischen Effekten ESG-konformer Investitionen. Vor allem institutionelle Investoren orientieren ihre Entscheidungen zunehmend an nachhaltigen Kriterien. So haben etwa Versicherungen ein ureigenes Interesse, in ökologisch vorteilhafte Objekte zu investieren. Denn so können sie den schadenverursachenden Auswirkungen des Klimawandels mit immer extremeren Wetterphänomenen entgegenwirken. Für die Immobilienwirtschaft bedeutet das: Die ESG-Qualität eines Objektes wird zu einem Marktwert-beeinflussenden Faktor. Solange das Angebot an nachweislich nachhaltigen Immobilien gering ist, wird die steigende Nachfrage den Preis für entsprechende Objekte treiben. Mit steigendem Angebot werden ESG-konforme Immobilien mit der Zeit zum Marktstandard werden. Das bremst die Aussicht auf weitere Preissteigerungen.
Auf der anderen Seite droht nicht nachhaltigen Immobilien ein zeitlich beschleunigender Wertverfall, weil die Nachfrage nach solchen Gebäuden in Zukunft immer häufiger ausbleiben wird. In einer Befragung es Immobilienberatungsunternehmens JLL unter Finanzierungsexperten gaben vor kurzem 14 Prozent der Teilnehmer an, Nachhaltigkeit nehme schon heute „großen“ Einfluss auf den Marktwert von Immobilien. Rund ein Drittel ging zumindest von einer „mittleren“ Bedeutung aus.
Die Rendite ist eine Frage der Perspektive
Auch die Höhe der erzielbaren Nettokaltmieten steht in engem Zusammenhang mit der ESG-Qualität einer Immobilie. Wer ein Gebäude energetisch saniert, schafft qualitativ hochwertigen Wohnraum für neue, häufig einkommensstärkere Zielgruppen. Bei Neuvermietungen wird der Eigentümer eine deutlich höhere Kaltmiete erzielen können als vor der Sanierung. Bestandsmieter kann er an der Aufwertung ihrer Wohnung beteiligen, indem er acht Prozent der Sanierungskosten auf die Jahresmiete aufschlägt. Allerdings darf die Miete infolge von Umbauten innerhalb von sechs Jahren nur um drei Euro je Quadratmeter und Monat erhöht werden. Mieter und deren Interessenverbände reagieren häufig sehr sensibel, wenn vor allem große Wohnungsunternehmen energetische Sanierungsmaßnahmen durchführen und einen Teil der Kosten auf die Mieten umlegen. Das zeigt, in welch vielschichtigen Spannungsfeld sich die Immobilienwirtschaft bewegt: Auf der einen Seite muss der umfangreiche klimaschonende Umbau finanziert werden, andererseits ist bezahlbares Wohnen ein hohes soziales Gut.
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat in einem Forschungsprojekt festgestellt, dass Wohnungsunternehmen Bestandsmietern nach Sanierungen eine niedrigere Kaltmiete berechnen als Neumietern eine Folge der gesetzlichen Deckelung. Vollständig wird das Bild für alle Beteiligten jedoch erst, wenn auch die Betriebskosten in die Betrachtung miteinbezogen werden. Denn für die Mieter ist letztlich entscheidend, wie hoch die mit der Wohnung verbundene Gesamtbelastung ist, also wie viel Warmmiete sie zu zahlen haben. Die energetische Sanierung, und hier insbesondere die Nutzung erneuerbarer Energien, reduziert die Betriebskosten. Diese Ersparnis ist jedoch meist nicht so hoch, dass sie die meist zeitgleich erfolgte Erhöhung der Kaltmiete ausgleicht. Warmmietenneutralität, so stellt das BBSR in seiner Untersuchung fest, lasse sich nur in Ausnahmefällen erreichen.
Kapitalsammelstellen müssen den Nachweis erbringen, dass sich ESG-konforme Investitionen in Immobilien rechnen. Aus ihrer Sicht ist der mögliche Aufschlag bei der Kaltmiete zunächst möglicherweise nicht hoch genug, um eine energetische Sanierung zu rechtfertigen. So kommt eine Studie der Technischen Universität Darmstadt zu dem Ergebnis: „Investitionen in energetische Gebäudesanierung bringen für Vermieter unterdurchschnittliche Renditen.“ Andere Untersuchungen, etwa von der Deutschen Energie-Agentur (dena) lassen die Frage der Wirtschaftlichkeit bewusst offen, da die Beantwortung nach ihrer Ansicht häufig von regional unterschiedlichen Faktoren abhängig ist.
Allerdings gilt es auch den Zeitfaktor zu berücksichtigen. Auf lange Sicht werden aus Investorensicht die Erträge die Kosten deutlich übersteigen. Denn ausbleibende energetische Sanierungen machen einen Wertverlust der Immobilie wahrscheinlich und haben schlimmstenfalls Leerstand zur Folge.
Weder Fluch noch Segen, sondern alternativlos
Ist die Transformation zu einer nachhaltigkeitsorientierten Ausrichtung nun eher Fluch oder Segen für die Immobilienwirtschaft? In dieser Form stellt sich die Frage gar nicht. Die ESG-Bewegung ist längst in der institutionellen Investmentszene angekommen und gilt als globaler Megatrend. Sie stellt branchenübergreifend neue Spielregeln auf. Ohne Nachweis der ESG-Tauglichkeit gehen Investoren Risiken ein, die sich langfristig negativ auswirken können. Deshalb ist es für Immobilienunternehmen alternativlos, Nachhaltigkeitsgesichtspunkte in ihr Geschäftsmodell aufzunehmen. Dies nicht zuletzt, weil die Finanzierung für „grüne Unternehmen“ vergleichsweise günstiger und einfacher wird. Kurzum: Die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien ergänzt die finanzielle Performance und wird zu einem marktprägenden Wettbewerbsfaktor. Allerdings – und hier hat die Branche Nachholbedarf – gilt es, verbindliche Standards insbesondere zu den Themen Soziales und Governance zu bestimmen. Nur sie schaffen Transparenz und ermöglichen Vergleichbarkeit.