Automobil Industrie: Hochsensible Lieferketten
„Wenn das System stabil bleiben soll, müssen die Zulieferer durch den Winter kommen“
Halbleiter, Magnesium, Verpackungsmaterial – die Lieferketten bei den Automobilzulieferern reißen immer wieder ab. Welche Rohstoffe-Engpässe bedrohen die Branche in den nächsten Wochen noch? Falkensteg Partner und Automotive-Experte Jochen Wierz gibt im Interview mit Svenja Gelowicz (Automobil Industrie) eine Einschätzung über das sensible System und wie Zulieferer jetzt agieren müssen, um die nächsten vier Monate zu überstehen. Lesen Sie die wichtigsten Aussagen.
Einige Zulieferer haben zuletzt die Versorgungsengpässe als Grund für eine Insolvenz genannt. Verbände warnen vor einer Pleitewelle bis Weihnachten. Zu Recht?
Die hochsensiblen Lieferketten, die man über die vergangenen zwei Jahrzehnte aufgebaut hat, sind in den zurückliegenden zwei Jahren an ihre Grenzen geraten. Sie funktionieren effizient auf einer permanent hohen Auslastung mit entsprechendem Warenfluss. Seitdem die Kette durch Corona zum ersten Mal abgerissen ist, fehlt die Stabilität. Es spricht schon einiges dafür, dass wir noch Insolvenzen bis zum Jahresende sehen werden, aber ich glaube nicht an einen großen Sturm.
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Wie sieht Ihre Prognose aus und welche Unternehmen trifft die Situation am meisten?
Wir glauben, dass die kommenden vier Monate in Europa herausfordernd werden. Es muss im schlimmsten Fall davon ausgegangen werden, dass wir in der europäischen Pkw-Produktion bis zum Ende des Jahres ca. eine Million Einheiten gegenüber dem Forecast vom Juli verlieren werden. Damit liegt die Gesamtjahresproduktion in Europa lediglich auf dem Niveau des Corona-Vorjahres. In Deutschland ist die kumulierte Gesamtfahrzeugproduktion per Stand September sogar noch unter den Stand des Vorjahres gefallen – bei bescheidenem Ausblick für den Rest des Jahres. Die Autohersteller konnten den negativen Volumentrend bisher über eine intelligente Steuerung der verfügbaren Modellpalette zumindest partiell kompensieren. Hierbei liegt der Fokus auf hochwertigen Ausstattungs- und Motorenpaketen.
Was können Zulieferer tun?
Für Zulieferer geht es jetzt darum, sich winterfest zu machen. Das Gute: Die Nachfrageseite ist weiterhin robust und wird nächstes Jahr weiterhin stabil bleiben, weshalb möglicherweise auch positive Nachholeffekte den Absatz zusätzlich unterstützen werden. Zulieferer müssen daher aktuell alles dafür tun, um ihre Kosten zu reduzieren und ihre Liquidität zu schützen. Bankengestütze Refinanzierungen sind derzeit schwierig auf die Beine zu stellen. Dennoch sollten die Zulieferer proaktiv auf ihre Finanzierer zugehen, dort die aktuelle Geschäftsentwicklung erklären und den Ausblick erläutern. Daneben ist ein Maßnahmenpaket zu schnüren, um den Liquiditätsabfluss zu reduzieren. Weiterhin helfen Gespräche mit den Arbeitnehmern, um auch hier kreative Überbrückungslösungen zu finden. Auch das Thema Kurzarbeit ist wieder oder weiterhin ein wichtiges Instrument. Elementar ist aber eine sehr vorsichtige und konservative Produktionsplanung, um den Aufbau von Beständen zu verhindern.
Damit die Liquiditätskrise nicht ausufert, fordern Unternehmen und Verbände Unterstützung von den Kunden. Ist das gerechtfertigt?
Die Parteien müssen intensiv miteinander sprechen. Gerade bei Werkzeugen oder Projektkosten gibt es üblicherweise Spielräume. Da hilft Pragmatismus, auch wenn solche Gespräche sicher nicht einfach zu führen sind. Wenn das System stabil bleiben soll, muss den Zulieferern die Chance geben werden, durch den Winter zu kommen. Und es gibt die Instrumente dafür, wie beispielsweise Zahlungszielverkürzung oder das Aussetzen von Savings.
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Wann entspannt sich die Situation?
Für das erste Halbjahr 2022 zeichnet sich eine Entspannung ab, zumindest was die Versorgungssituation mit Halbleitern betrifft. Es geht aber nicht nur um diese eine spezifische Versorgungskomponente. Aktuell belasten viele weitere Mangelthemen die Lieferkette, wo der Trend aktuell noch unklar ist. Magnesium ist ein Beispiel.
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Das komplette Interview lesen Sie in Automobil Industrie „Lieferketten“ (€)
Mehr zur Versorgungskrise bei Halbleitern in der Automobilindustrie lesen Sie in unserem Automotive Snapshot. Er fasst die Stimmungslage im Markt zusammen und liefert Entscheidern einen datengestützten und praxisnahen Einblick in Hintergründe und Ausmaß der aktuellen Krise.