Automobil-Industrie: Das Schutzschirmverfahren kann Unternehmen extrem schnell neu aufstellen
Der Zulieferbranche drohen zahlreiche Insolvenzen.
Worauf angeschlagene Unternehmen jetzt achten sollten, welche Möglichkeiten der Gesetzgeber im Zuge der Krise geschaffen hat und wie die Sanierungsformen funktionieren, erklärt Tillmann Peeters, Fachanwalt für Insolvenzrecht, im Interview mit Automobil-Industrie Redakteurin Svenja Gelowicz.
Eine Analyse aus Ihrem Haus zeigt, dass bei den Automobilzulieferern im ersten Halbjahr 2020 bereits doppelt so viele Unternehmen wie im gesamten Jahr 2019 Insolvenz angemeldet haben. Bei welchen Zulieferern sehen Sie für die nächsten Monate die meisten Probleme?
Wir sehen die grundsätzlich quer durch die Bank. Die Hersteller von Guss- und Kunststoff-Produkten und die Oberflächenveredler trifft es sehr hart, aber das resultiert auch aus Vorerkrankungen und nicht nur aus der Krise. Aber es gibt viele Bereiche, wo die strategischen Aussichten für die nächsten 15 Jahre schwierig sind. Und letztendlich sinken die Abnahmen. Die Folgen werden jedoch erst ab dem zweiten Halbjahr zu sehen sein. In diesem Jahr sollen nur noch 3,4 Millionen Autos in Deutschland produziert werden, so wenig wie vor 44 Jahren.
Neben der Regelinsolvenz, wo ein Insolvenzverwalter ein Unternehmen eher verkauft oder liquidieren muss, gibt es das Sanierungsinstrument der Insolvenz in Eigenverwaltung.
Genau. Da saniert das Management selbst das Unternehmen unter insolvenzrechtlichen Bedingungen. Wesentliches Ziel ist der Erhalt und Fortführung des Unternehmens. Ein Sachwalter achtet darauf, das mit dem Geld im Sinne der Gläubiger umgegangen wird. Mit dem Sachwalter entwickelt die Unternehmensleitung einen Insolvenzplan. Schwerpunkte sind Maßnahmen zur Entschuldung und zur Fortführung. Dem Insolvenzplan müssen die Gläubiger zustimmen. Andere unternehmerische Entscheidungen zu beispielsweise Produkten oder Angeboten trifft die Geschäftsführung weiterhin selbst. In der Regel wird die Geschäftsführung von einem Sanierungsexperten begleitet und unterstützt, da die insolvenzrechtlichen Belange komplex sind.
Welche Vorteile bietet die Eigenverwaltung?
In der Eigenverwaltung kann der Unternehmer Liquiditätseffekte nutzen, um die Sanierung zu finanzieren. So entlastet das Insolvenzgeld, das maximal für drei Monate von der Agentur für Arbeit übernommen wird, die Lohn- und Gehaltszahlungen. Auf das Insolvenzgeld wird später nur eine Quote gezahlt. Die außerhalb der Insolvenz kaum tragbaren Personal und und abbaukosten werden im Schutzschirmverfahren gesetzlich auf zweieinhalb Monatsgehälter begrenzt.
Ungesicherte Verbindlichkeiten, die zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehen, sind einfache Insolvenzforderungen. Sie werden zunächst nicht und erst später im Verfahren quotal bedient.
Zur Umgestaltung des Geschäftsmodells können unprofitable Kundenaufträge oder nicht mehr betriebsnotwendige Verträge, zum Beispiel langlaufende Miet- oder Leasingverträge, mit einer Frist von maximal drei Monaten gekündigt werden. Umgekehrt ist eine Kündigung durch den Vermieter oder Leasinggeber ausgeschlossen. Allerdings muss das Unternehmen die mietvertraglichen Pflichten erfüllen. Die Eigenverwaltung kann man in ein paar Tagen vorbereiten.
Eine besondere Form ist das Schutzschirmverfahren. Wie unterscheidet sich diese Sanierungsform?
Das Schutzschirmverfahren ist die präventivere Form der Insolvenz. Unternehmen müssen dafür einige Voraussetzungen erfüllen. Sie dürfen nicht zahlungsunfähig sein, sondern nur überschuldet oder drohend zahlungsunfähig. Das muss ein fremder Dritter bescheinigen und dem Insolvenzgericht vorlegen. Und: Die Sanierung darf nicht offenkundig aussichtslos sein. Ein Unternehmen muss also seine Sanierungsfähigkeit belegen. Das geht bei Automotive-Unternehmen meist ganz gut, weil zum Beispiel ein OEM-Kunde weiterhin die Teile beziehen will.
Neben den zuvor genannten Liquiditätseffekten können die Gläubiger keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner durchsetzen. Darüber hinaus kann der Schuldner den vorläufigen Sachwalter vorschlagen.
Grundsätzlich braucht man dafür allerdings etwas Vorlauf. Die Bescheinigung muss erst geschrieben werden, und dafür braucht man Zeit, gerade wenn in dem angeschlagenen Unternehmen eine unzureichende Datenbasis vorliegt. Drei Wochen sind wenig Zeit dafür, wenn man wirklich bei Null anfängt. Kurzfristig kann man kein Schutzschirmverfahren anmelden. Wer erst fünf vor Zwölf kommt, hat keine Chancen. Er kann dann auf eine Eigenverwaltung ausweichen, die jedoch deutlich weniger Handlungsoptionen bietet. Außerdem muss man leider damit rechnen, dass im Oktober die Kapazitäten für Berater oder Sachwalter sehr eng werden könnten wegen der erwarteten Insolvenzwelle
Die Insolvenz hat selbst als Sanierungsmaßnahme keinen guten Ruf. Woran liegt das?
Im Bereich Automotive, in dem vieles gut planbar ist und der sehr professionell geführt wird, hat das Ansehensgründe. In Deutschland hat die Insolvenz immer noch den Ruf, eine Zerschlagung oder Liquidation zu sein, dabei ist sie eine Sanierungsmaßnahme. Aber ihr Leumund ist schlecht. Das hat auch vor acht Jahren dazu geführt, den Schutzschirm in die Welt zu setzen. Wir hatten in den letzten Monaten so viele Schutzschirmverfahren wie in den letzten drei Jahren zuvor.
Ein anderer Aspekt ist natürlich aber auch, dass Unternehmer oft mit großen Teilen ihres Privatvermögens haften und daher einer Insolvenz aus dem Weg gehen. Aber auch das lässt sich in einem Insolvenzplan regeln.
Das Schutzschirmverfahren kann Unternehmen extrem schnell neu aufstellen. Ein solches Verfahren dauert zwischen sechs und neun Monaten. Unternehmer sollten den Schutzschirm deshalb als Sanierungs-Turbo und Chance für die Zukunft begreifen.
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