Modeeinzelhandel – Wege, um zu überleben

Mit dem verlängerten Lockdown schwindet für den stationären Modeeinzelhandel die Hoffnung auf die rasche Öffnung der Läden.

Für viele Händler geht es nun darum, ihre Existenz zu sichern und um die Frage, wie sich die Fixkosten bei ausbleibenden Umsätzen senken lassen. Nachfolgend werden Handlungsempfehlungen zur Überwindung der Krise und für eine strategische Neuausrichtung aufgezeigt. Die beschriebenen kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen dienen der Liquiditätssicherung sowie der Kostenreduktion und erhöhen die Chancen eines wirtschaftlichen Überlebens. Mit den dargestellten Optionen zur Restrukturierung lassen sich Modeeinzelhändler wieder nachhaltig wettbewerbsfähig aufstellen. Dabei wird das bekannte, veränderte Einkaufsverhalten berücksichtigt.

Der stationäre Modeeinzelhandel ist stark gefordert

Der stationäre Modeeinzelhandel war durch die Verschiebung der Umsätze von der Fläche hin zum Onlinehandel bereits vor Corona stark gefordert. Die Pandemie hat diese Entwicklung unzweifelhaft beschleunigt. Jetzt nutzen auch Käufergruppen das Internet, die den Onlinehandel bisher gemieden haben. Wesentlich wird die aktuelle Situation durch vier Faktoren bestimmt:

  1. Die Corona-Folgen entziehen den Unternehmen die Geschäftsgrundlage. Ein Einkaufserlebnis für den Kunden auf der Fläche ist derzeit nicht möglich. Dadurch sind bereits wichtige Umsätze im Weihnachts- und Wintergeschäft substanziell und nachhaltig weggefallen. Trotz aller Anstrengungen können für im Wesentlichen stationär tätige Unternehmen diese Umsätze häufig nicht durch E-Commerce-Kanäle kompensiert werden. Zudem wird sich die Ware der Herbst/Winter-Kollektionen auch nach einer Öffnung kaum mehr verkaufen lassen. Der aktuelle Lockdown mit unbekanntem Ende wird den Ausfall weiter vergrößern.
  2. Die Unternehmen sitzen auf hohen Warenbeständen, welche im Wesentlichen aus den Herbst-/Winter-Kollektionen bestehen. Diese können, wenn überhaupt, nur mit zum Teil hohen Abschlägen verkauft werden. Weiterer Druck auf die Marge sowie den Deckungsbeitrag und nicht zuletzt auf die Liquidität sind die Folge. Liquidität wird hingegen benötigt, um neue Waren zu kaufen. Gleichzeitig besteht eine hohe Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie. Das beeinflusst die aktuellen Bestellprozesse. Auf der einen Seite müssen Waren aus der Frühjahr-/Sommer-Kollektion sofort nach einer Öffnung auf der Fläche sein. Auf der anderen Seite fehlt der Branche ein seriöser Ausblick, wann mit einem Ende des Lockdowns gerechnet werden kann. Auch werden Lockerungen dann nur schrittweise erfolgen.
  3. Die Pandemie hat zu einer weiteren Verschiebung des Einkaufsverhaltens hin zu E-Commerce geführt. Kunden, die bisher ausschließlich offline gekauft haben, erleben nun Online-Handel mit seinen Vorteilen. Es kann davon ausgegangen werden, dass nur Teile der abgewanderten Umsätze wieder in den stationären Handel zurückgeholt werden können. Unternehmen sind somit gezwungen, ihre Kapazitäten z. B. an Verkaufsflächen und Personal diesen neuen Bedingungen anzupassen.
  4. Viele Modeeinzelhändler sind auf die Digitalisierung des Verkaufsprozesses zu wenig vorbereitet oder nicht bereit diese Entwicklung mitzugehen. Dies betrifft sowohl operative Prozesse, das Kundendatenmanagement als auch die Vertriebskanäle. Zusätzlich fehlen vielfach die notwendigen finanziellen Mittel, um Investitionen in die Digitalisierung durchzuführen.

„Cash is king“ Liquiditätssteuerung zur Sicherstellung der Überlebensfähigkeit

Der finanzielle Spielraum der meisten Modeeinzelhändler ist fast ausgereizt. Die bisher aufgelegten Hilfspakete entfalten nur geringe Wirkung oder gehen an der Realität der Händler vorbei. Gleichzeitig sorgen getätigte Investitionen in die Umsetzung von Hygienekonzepten, die Beschaffung von Waren und die Deckung der weiterlaufenden Kosten wie z. B. Mieten für eine angespannte Liquiditätssituation. Viele Händler kennen Krise nicht, hoffen auf staatliche Hilfe und sind unsicher, was die wesentlichen Schritte zur Kostenreduzierung sind. Wichtig ist zunächst, Transparenz herzustellen. Unternehmen sollten eine professionelle Liquiditätsplanung und -steuerung aufsetzen. Grundlage sollte eine rollierende Planung auf Wochenbasis, idealerweise mit Berücksichtigung unterschiedlicher Szenarien sein. Diese dient auch zur Prüfung der Zahlungsfähigkeit. Denn ist die Zahlungsunfähigkeit eingetreten, erhöhen sich die Haftungsrisiken für das Management erheblich. Unternehmen sollten ferner ihre Liquidität stringent steuern, nur so lassen sich unternehmerische Handlungsspielräume erhalten.

Kurzfristige Maßnahmen ergreifen

  • Anpassung und Neuausrichtung der Sortimentspolitik, z.B. Erhöhung Anteil NOS (Never Out of Stock) zur Reduzierung der Abhängigkeit der Kollektionen
  • Implementierung bzw. Ausbau eines Bestell- und Filialcontrollings
  • Stundungsvereinbarungen mit wesentlichen Lieferanten und Dienstleistern sowie Vermietern
  • Reduzierung vorhandener Bestellungen
  • Prüfung der Möglichkeit Konsignationslager einzurichten
  • Kreative Lösungen durch offene Kommunikation mit den wesentlichen Lieferanten

Störung der Geschäftsgrundlage

Modehändler müssen nun zur Anpassung ihrer fixen Kosten in Verhandlungen mit ihren Geschäftspartnern eintreten. In Zeiten der Pandemie lassen sich für eine im Ganzen existenzbedrohte Branche nur gemeinsame Lösungen in Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung, Belegschaft, Vermietern und Lieferanten finden. Kurzarbeit, Steuer-Stundungen und Staatshilfen sind dabei der Beginn der Liquiditätsschonung. Allerdings bedarf es zur Bewältigung der Krise weiterer kreativer Lösungen und Maßnahmen.

Eine wesentliche Kostenposition sind die Mieten für die Verkaufsflächen. Grundsätzlich sollte bei Gesprächen mit Vermietern über eine Mietminderung eine konsensfähige Lösung im Sinne einer langfristigen und vertrauensvollen Geschäftsbeziehung angestrebt werden. Allerdings hat der Gesetzgeber die Verhandlungsposition des gewerblichen Mieters Anfang des Jahres durch eine Klarstellung hinsichtlich behördlich veranlasster Schließungen erheblich gestärkt. Die coronabedingte Schließung sei eine Störung der Geschäftsgrundlage – also des Mietvertrages. Dies ermöglicht eine Anpassung, die sich nach der Verteilung der Risiken richtet. So kann es durchaus angemessen sein, Mieten temporär bis max. 50 Prozent zu kürzen. Ob ein laufender Vertrag angepasst werden kann, bedarf jedoch einer juristischen Prüfung.

Nachhaltige Sanierung durch gerichtliche Instrumente möglich

Auch wenn Unternehmen die Krise wirtschaftlich überstehen, wird es dennoch für den überwiegenden Teil der Modeeinzelhändler notwendig sein, sich mit Hilfe juristischer Verfahren zu restrukturieren. Dies betrifft gerade auch die Restrukturierung der pandemiebedingt verursachten Verbindlichkeiten. Unternehmen stehen ab 2021 zwei Wege offen:

  1. Finanzielle Restrukturierung durch den präventiven Restrukturierungsrahmen (StaRUG)
    Seit Anfang Januar können sich Unternehmen mit dem neuen Sanierungsverfahren finanziell restrukturieren. Die Restrukturierung kann hier explizit auch pandemiebedingte Verbindlichkeiten wie KfW-Kredite oder auch Forderungsstundungen von z. B. Vermietern oder Lieferanten umfassen. Es lassen sich somit Anpassungen wie Laufzeitverlängerungen, Verzinsungen oder Verzichte mit Gläubigern aushandeln. Die Restrukturierungsmaßnahmen können, sofern diese durch die Mehrheit der betroffenen Gläubiger getragen werden, auch gegenüber einzelnen ablehnenden Gläubigern durchgesetzt werden. Weiterhin stehen Vollstreckungs- und Verwertungssperren zur Verfügung, um ausreichend Zeit für die Entwicklung eines Restrukturierungsplanes zu gewinnen.
  2. Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung
    Viele Unternehmen werden sich allerdings grundlegend und tiefgreifend sanieren müssen, um sich anschließend gestärkt neu aufzustellen. Etwa wenn operative Kapazitäten wie Verkaufsflächen und Personal an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen sind. Hier bietet sich eine Eigenverwaltung an, die nicht nur finanzielle, sondern auch operative Maßnahmen ermöglicht. Es lassen sich in einem gerichtlichen Verfahren einseitig und vorzeitig Dauerschuldverhältnisse (Mieten, Pachten etc.) kündigen. Ebenso sind Personalanpassungen hinsichtlich der Sozialplanhöhe und Kündigungsauslauflöhne privilegiert. Die Bundesagentur übernimmt für maximal drei Monate die Personalkosten und unterstützt damit die Sanierung. Die Forderungen der ungesicherten Gläubiger werden gleichmäßig in Höhe einer Quote befriedigt, welche an der wirtschaftlichen Vermögenslage des Unternehmens ausgerichtet ist.

Sanierung ermöglicht Handlungsspielraum für eine strategische Neuausrichtung

Die Restrukturierung gibt Unternehmen neuen Spielraum, um sich nachhaltig strategisch neu aufzustellen. Hier sollte der Fokus klar auf Digitalisierung liegen. Dabei heißt Digitalisierung nicht gleich reiner Onlinehandel. Denn der stationäre Handel kann sich weiterhin durch das Einkaufserlebnis vom Online-Handel abheben. Die Trümpfe, die der stationäre Handel immer noch hat, liegen in der kompetenten Beratung, der Atmosphäre und dem Erleben der Waren.

Deshalb ist für etablierte Einzelhändler eine hybride Strategie die geeignetste. Das Erlebnis Einkauf sinnvoll mit digitalen Angeboten zu verbinden, schafft Wettbewerbsvorteile. Dies nicht nur gegenüber rein stationären Händlern, sondern gerade auch gegenüber den Online-Riesen. Hier sind kreative Ideen gefragt. Ein Beispiel wäre das Anbieten einer professionellen „offline“ Styling Beratung, welche als Einkaufsprofil für den Online-Shop genutzt wird. Der Kunde würde künftig gemäß seines präferierten Styles über neue Produkte und Trends informiert. Die Ware wird dann bei Bedarf im Shop anprobiert. Hierzu kann online einfach ein passender Termin gebucht werden, sodass die passende Größe und Beratung beim Termin vorhanden sind. Die Digitalisierung der operativen Prozesse, der Datenanalyse für ein tiefgehendes Verbraucherverständnis und der Vertriebswege sind essenziell. Zur Umsetzung benötigen Unternehmen allerdings Handlungsspielraum und Zeit, die durch die zuvor genannten Verfahren geschaffen werden können.

Lesen Sie dazu auch den Artikel in der Wirtschaftswoche: 4-Punkte-Plan: So überleben Modehändler den Corona-Winter

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